Künstliche Intelligenz: wie dein Unternehmen ins Tun kommt

Der Wille ist da. Die Geschäftsführung hat das Budget freigegeben. Die Entscheider des Unternehmens sind sich daran einig, dass man jetzt in Sachen KI Vollgas geben sollte. Doch kaum startet das große Projekt, da kommt es auch schon ins Stottern. Woran liegt’s?

Zuallererst am Personal. Der altgediente IT-Spezi, sonst für jeden Spaß zu haben, will mit Large Language Models nichts zu tun haben und behauptet, für die meistens Probleme sei „eine simple MySQL ausreichend“. Also begibt sich die Personalabteilung auf die Suche nach KI-Experten und kommt eine ganze Weile nicht zurück. Währenddessen bastelt das Management in Dutzenden von Offsites und Workshops an einer „KI-Strategie“ und verkündet am Ende, das erst mal eine vernünftige Gesamtstrategie her müsse („Was ist überhaupt unser Why?“). Schließlich, nach Monaten, sind alle Hürden überwunden – und nun hat die Compliance-Abteilung ihren großen Auftritt. Datenschutz und rechtliche Unklarheiten sind die Hauptgründe, warum deutsche Unternehmen noch keine KI eingeführt haben. Dass der AI Act ab Ende des Jahres mit saftigen Strafen droht, macht die Sache nicht besser. Rien ne va plus.

Dieses Szenario mag überzeichnet wirken, aber der aktuelle Status Quo spricht für sich. Trotz aller Ambitionen fühlen sich vier von zehn deutschen Unternehmen bei KI völlig abgehängt. Die Pilotprojekte laufen seit letztem Jahr, aber trotzdem will die Hälfte der deutschen Industrieunternehmen „erst mal abwarten“. Die große Mehrheit des Mittelstands hat einen KI-Einsatz nicht einmal geplant.

Was ist die Alternative? Natürlich ergibt es keinen Sinn, wenn man kopflos irgendwelche KI-Features ins eigene Produkt klöppelt. Aber „erst mal abwarten“, anderthalb Jahre nach dem Release von ChatGPT, auch nicht. Hier kommen drei Ansätze, damit dein Unternehmen jetzt ins Tun kommt.

Statt Experten: User-Innovation

Im Gegensatzu zur allgemeinen Lehrmeinung kommt Innovation häufig aus den Reihen der Anwender – also von Einzelpersonen und Firmen, die eine Technologie auf überraschende Weise benutzen und dabei ihre eigene Expertise mitbringen 1. Diese „User Innovation“ ist besonders im Fall Generativer KI gefragt, weil häufig noch unklar ist, was AI überhaupt kann und was nicht. Forscher der Harvard Business School haben dieses Problem „Jagged Frontier“ getauft. Wissensarbeiter tänzeln ständig auf den technologischen Grenzen von Generativer KI hin und her. Manchmal hilft KI, manchmal nicht, und das, obwohl die Aufgaben scheinbar gleich anspruchsvoll sind.

Anwender müssen ein Gespür für diese Grenzen entwickeln, indem sie KI möglichst häufig benutzen. Die Anwender, zu denen man als Unternehmen den direktesten Zugang hat, sind natürlich die eigenen Mitarbeiter. Und im Gegensatz zu eingekauften KI-Experten kennen diese sich bereits bestens mit der Branche und den eigenen Kundenproblemen aus.

Aber wie motiviert man möglichste viele Mitarbeiter zur Nutzung von KI? Manche Unternehmen stellen „AI-Advokaten“, die durch die Abteilungen tingeln, oder führen spezielle Weiterbildungsprogramme an. Doch bevor man dergleichen aufsetzt, sollten die absoluten Grundlagen stehen. Dazu gehört, dass jeder im Unternehmen Zugriff auf ChatGPT oder vergleichbare Tools hat. Die KI-Revolution sollte nicht an Firewall-Problemen oder einem zu knappen Budget für Premium-Lizenzen scheitern.

Ebenso wichtig ist es, dass die Mitarbeitenden ihre Erfahrungen teilen. Das klingt banal? [[Künstliche Intelligenz – Wo steht die deutsche Wirtschaft? (Bitkom, 2023)|75 % der deutschen Geschäftsführer]] wissen nicht einmal, ob ihre Mitarbeiter ChatGPT überhaupt nutzen, oder sie sind überzeugt, dass sie es nicht tun. Letzteres würde ich stark bezweifeln. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Mitarbeiter ChatGPT nutzen, aber es verheimlichen, weil die aktuelle Unternehmenskultur eben Arbeitsaufwand belohnt, nicht Ergebnisse.

Wenn Entscheider oder Führungskräfte das ändern wollen, heißt das vor allem, dass sie mit gutem Beispiel vorangehen. Der Satz „Ich habe mir mal ein paar Ideen von ChatGPT generieren lassen“ muss in Meetings genauso normal werden wie „ich hab mir die Daten in Excel zusammengepackt“. Wer ChatGPT nutzt, fudelt nicht, sondern professionalisiert sich. Das muss bei jeder Person im Unternehmen ankommen.

Statt KI-Strategie: Bring AI to the Table

Jedes dauerhaft erfolgreiche Unternehmen hat bereits eine Strategie. Künstliche Intelligenz dreht diese Strategie nicht auf links, sondern hebelt sie. Sie stärkt die Stärken. Vergrößert den Abstand zum Wettbewerb. Apple hat zum Beispiel für „KI-Strategie“ sehr viel Applaus bekommen, dabei hebelt diese Strategie einfach nur die die drei Stärken des iPhones:

  1. Integration von Software und Hardware → Apple nutzt die exzellente Hardware für lokale KI-Modelle
  2. App Store als Plattform → Apple macht Millionen iOS-Apps für Generative KI verfügbar
  3. Ökosystem → Apple macht die persönlichen Daten von 1 Milliarde Nutzer für Generative KI verfügbar

Was hier so naheliegend aussieht, ist natürlich eine hohe Kunst. Unternehmen können trotzdem schon ziemlich weit kommen, wenn sie sich an dieses Prinzip aus Ethan Molliks Buch „Co-Intelligence“ halten: Always invite AI to the Table. Bei allen strategischen Entscheidungen der Firma muss jemand aufstehen und fragen: „Kann uns KI bei diesem Problem helfen?“ Der Effekt wird sein, dass einiges von dem, was man zuvor als gegeben hingenommen hat, durch die Fähigkeiten von AI wie ein Workaround ausschauen wird.

Bei sipgate haben wir uns zum Beispiel jahrelang den Kopf darüber zerbrochen, wie wir es unseren Usern leichter machen können, während eines Anrufs Notizen zu erstellen. Als wir KI „an den Tisch holten“, war klar, dass Textzusammenfassungen und Spracherkennung – zwei Features, die schon jetzt zu den großen Stärken von Generativer KI gehören – die Antwort auf unser Problem sind. Seitdem müssen unsere Nutzer nicht mehr während eines Calls mitschreiben. Das erledigt die KI.

Compliance: einfach mal prüfen

Es gibt keinen (legalen) Hack, mit dem man um Regulierung und Datenschutz herumkäme. Der Trick ist, davor keine Angst zu haben.

Bei dem oben genannten Beispiel der Call-Zusammenfassungen hätte die erste Reaktion sein können: „Anrufe mitschneiden? Ohne, dass die andere Person darüber Bescheid weiß? Das ist so was von verboten, brauchen wir uns gar nicht erst angucken!“ Doch das Produktteam hinter der Idee hat sich einfach mal die Gesetzeslage angeschaut. Dann das Thema mit Anwälten geprüft. Zum Schluss ein externes Gutachten eingeholt. Ergebnis: eine ungefragte Aufzeichnung ist in der Tat verboten, doch die Verschriftlichung und Zusammenfassung eines Anrufs nicht. Und bei Geschäftsanrufen greifen weder die DSGVO noch der AI Act, sondern das gute alte Strafgesetzbuch.

Hätte das Team auf den ersten Reflex gehört, wäre nichts aus der Idee geworden. Der Investor Paul Graham nennt das Schlep Bindness: wir blenden vielversprechende Ideen unbewusst aus, nur weil sie uns mühevoll erscheinen. Speziell der AI Act dient manchen als gute Ausrede dafür, nicht den nächsten Schritt tun zu müssen.

Der nächste Schritt

Braucht dein Unternehmen eine KI-Strategie? KI-Experten? Ein Compliance-Projekt, das die Rahmenbedingungen prüft? Wahrscheinlich schon. Genauso wichtig ist aber eine Kultur, die den Einsatz von KI belohnt und euer Unternehmen ins Tun bringt. Und damit kann man morgen starten.


  1. Ein Beispiel sind medizinische Apps. Nach dem Launch des App-Stores kamen die ersten, erfolgreichen Medical Apps nicht von Firmen des Gesundheitssystems, sondern von Anwendern: Patienten, Angehörigen und Pflegekräften. Hersteller und Krankenkassen haben inzwischen nachgezogen, doch die User-Apps haben nach wie vor die besseren Bewertungen2 ↩︎

  2. Quelle: Are Patients and Relatives the Better Innovator- An Analysis of Medical Smartphone Applications (Moritz Goeldner, Cornelius Herstatt, 2016) ↩︎