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Solarkraft: der größte Tech-Hype, über den niemand spricht

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Solarkraft könnte eine der größten, technologischen Revolutionen der Menschheitsgeschichte werden. Seltsam ist nur, wie wenig wir darüber sprechen.

Im Jahr 1865 war der junge Ökonom William Stanley Jevons sehr beunruhigt. Sein Heimatland Großbritannien wurde durch neue Dampfmaschinen bei der Förderung von Kohle immer effizienter, aber Jevons hatte herausgefunden, dass dies den Kohleverbrauch nur weiter ansteigen ließ. Die Produktion wurde günstiger, dadurch sanken die Kosten, was wiederum die Nachfrage erhöhte. Wenn die Nachfrage steigt, steigt die Produktion – und die Kosten sinken weiter.

Dieses nach Jevons benannte Paradox ist heute an allen möglichen Stellen zu beobachten. Zusätzliche Autobahnspuren reduzieren nicht die Staus, sondern führen zu mehr Verkehr. Smartphones haben hundertfach so effiziente Chips wie frühere Nokia-Handys, verbrauchen aber auch deutlich mehr Strom. In der Ökonomie spricht man auch vom „Rebound-Effekt“: die temporäre Einsparung kommt wie ein Bumerang zurückgeflogen.

Doch auch das Jevons-Paradox stößt irgendwann an seine Grenzen, entweder weil der Markt genug von einer Sache hat oder weil die Technik an physikalische Grenzen stößt. Kohle, Öl und Gas sind heute ähnlich teuer wie vor 140 Jahren, ein langfristiger Trend nach oben oder unten ist nicht erkennbar. Hat Jevons geirrt? Im Fall von Kohle schon. Doch dafür gibt es einen Energieträger mit Rebound-Effekten, wie die Welt sie noch nicht gesehen hat: Solartechnik.

Der unaufhaltsame Solarboom

Noch in den 90ern hatte Photovoltaik selbst unter Pionieren den Ruf, dass es „richtige Kraftwerke“ im Strommix nur unterstützen könne. Zu teuer, zu unbeständig. Doch angekurbelt durch Subventionen – allen voran das deutsche Stromeinspeisungsgesetz1 – sinken die Kosten für Solarstrom seit Jahrzehnten exponentiell, um durchschnittlich 10 % pro Jahr. Was daraus folgt ist ein Rebound-Effekt ohne jeden Bremsklotz: Solar wird billiger, die Nachfrage steigt, Solar wird noch billiger. Die weltweite Solarkapazität verzehnfacht sich pro Jahrzehnt, bis Mitte der 2030er werden Solarzellen aller Wahrscheinlichkeit nach die größte Stromquelle des Planeten sein. In den 2040er Jahren für Energie insgesamt. Schreibt man das Wachstum noch weiter fort, gewinnt die Menschheit im Jahr 2070 mehr Energie aus Solarzellen als heute aus allen Energieformen zusammen 2.

Keine natürlichen Grenzen könnten dieses Wachstum abbremsen.. Solartechnik benötigt siliziumhaltigen Sand und sonnige Flächen – beides ist im Überfluss vorhanden und die Umweltauswirkungen sind marginal 3. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Elektrizität. Goldmann Sachs schätzt, dass der Stromverbrauch in Europa durch die kommenden zehn Jahren um ca. 40 % ansteigt, allein durch die Elektrifizierung von Heizungen, Transport und Industrie.

Und dann sind da noch die Rechenzentren. Aktuell machen sie nur 1 % des weltweiten Strombedarfs aus, aber das wird sich ändern, wenn Generative KI den erwarteten Erfolg hat. Ein KI-Datacenter verbraucht bis zu zehnmal so viel Energie wie herkömmliche Rechenzentren.

All diese Szenarien sind schwindelerregend, doch sie schreiben nur die Vergangenheit fort. Dabei steht uns möglicherweise ein Paradigmenwechsel bevor. „Alles, wofür die Menschen heute Energie verwenden, wird weniger kosten – und das gilt für so ziemlich alles“, schreibt der Economist in der aktuellen Ausgabe. Das Verhältnis zwischen Mensch und Energie wird sich grundlegend verändern, in allen Teilen der Welt. Was bedeutet das für Unternehmen?

Neue Innovationen gesucht

Die Welt der Solarzellen ist ziemlich einfach. Solarpanels haben keine beweglichen Teile, benötigen keinen Treibstoff, haben eine Laufzeit von mehreren Jahrzehnten, und das Beste ist: sie werden immer günstiger.

Der Grund dafür sind keine wissenschaftlichen Durchbrüche, sondern Effizienzgewinne durch Massenproduktion. Längst haben chinesische Unternehmen die Technologie, die Institute in Deutschland einst industriereif machten 4, übernommen und produzieren sie zu Dumpingpreisen – dank niedriger Lohnkosten, günstigerer Energie und hohen Subventionen. Zwar wird hierzulande weiter an Verbesserungen der Technologie getüftelt, doch Solarfarmen fahren am effektivsten, wenn sie günstige Chinazellen kaufen, und davon einfach einen ganzen Haufen.

Allerdings wird nicht ewig so bleiben – irgendwann benötigen wir technische Durchbrüche, damit die Kosten weiter sinken. Biegsame Solarzellen zum Beispiel oder solche, die sich in Fenstern verbauen lassen, oder Solarzellen aus mehreren Schichten und ganz neuem Wirkungsgrad. Gerade sind die „weltbesten Solarzellen“ kein Verkaufsargument. Bald vielleicht schon.

Nicht nur die Solarzellen selber müssen schlauer werden. Der steigende Anteil erneuerbarer Energien führt zu Schwankungen in der Stromproduktion, weil Sonne und Wind nicht konstant verfügbar sind. Außerdem kommt der Strom nicht mehr aus einer Handvoll von Kraftwerken, sondern aus Tausenden von Solarfarmen, von Mega-Plants in Nordafrika bis zum winzigen Balkonkraftwerk. Smart Grid Technologien sind eine neue Klasse von Software, mit denen Netzbetreiber dieser Komplexität Herr werden können ihr Netz vorausschauend steuern.

Die Geschichte der Solarindustrie ist noch lange nicht zu Ende erzählt und bietet noch viel Platz für neue Unternehmen und Geschäftsmodelle.

„Wenn die Sonnenstrahlen eingesammelt werden“

Im Ende seines Buches „The Coal Question“ schrieb William Stanley Jevons: „Unter den verbleibenden Möglichkeiten unvorhergesehener Ereignisse ist es durchaus möglich, dass eines Tages die Sonnenstrahlen eingesammelt werden.“ Das „unvorhergesehene Ereignis“ ist eingetreten und Jevons Prophezeiung für die Kohle hat sich in der Solartechnik erfüllt – ohne die gleichen ökologischen Nachteile.

Solarkraft könnte eine der größten, technologischen Revolutionen der Menschheitsgeschichte werden. Seltsam ist nur, wie wenig wir darüber sprechen.


  1. Experten sind sich einig, dass das deutsche Stromeinspeisungsgesetz der größte und richtungsweisendste Hebel für den Solar-Siegeszug war. Gut erklärt in diesem Video ↩︎

  2. Quelle: Empirically grounded technology forecasts and the energy transition (Rupert Way, Matthew C. Ives, Penny Mealy, J. Doyne Farmer, 2022) ↩︎

  3. Quelle: Wie umweltschädlich sind Photovoltaik-Anlagen? | tagesschau.de ↩︎

  4. Quelle: Photovoltaik-Strategie der Bundesregierung ↩︎